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IGeL: Wenn Geld über Gesundheit entscheidet

| Klaus Wolfrum-Petersen | News

In der deutschen Gesundheitslandschaft sind individuelle Gesundheitsleistungen, kurz IGeL, ein kontrovers diskutiertes Thema. Diese Leistungen werden von Ärzten außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen angeboten und müssen vom Patienten privat bezahlt werden. IGeL sind ein Zusatzangebot. Patienten sind nicht verpflichtet, sie anzunehmen. Wir wollen euch hier einen kurzen Überblick über die aktuelle Diskussion dazu geben.

Was bedeutet IGel

IGel Leistungen werden von vielen ärztlichen Praxen angeboten, ebenso von Psychotherapeuten und Zahnärzten. Dabei handelt es sich um verschiedene Diagnose- und Behandlungsmethoden, die nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen gehören. Sie gehen über das Maß einer medizinisch notwendigen Versorgung hinaus. Der Markt dieser Leistungen wächst seit Jahren. Da Selbstzahler Leistungen nicht systematisch erfasst werden gibt es keine genauen Zahlen. Die Krankenkassen haben hochgerechnet, das Patienten im Jahr 2018 gut 15 Millionen IGel Leistungen  in Höhe von rund einer Milliarde Euro in Anspruch genommen haben.

Welche IGel Leistungen gibt es?

Vom PSA-Test bis zur Augeninnendruckmessung gibt es eine Vielzahl von IGel Leistungen. Eine Extra Ultraschalluntersuchung bei der Frauenärztin kann genauso  dazu gehören wie neue diagnostische Verfahren bei Augenärzten. Grob kann man zwei Arten der IGel Leistungen unterscheiden

1. Leistungen, die nicht medizinisch notwendig ist, aber im Einzelfall sinnvoll sein können

  • Ärztliche Untersuchungen und Beratungen, die auf Wunsch der Patienten erfolgen, ohne dass sie medizinisch notwendig sind. Diese Leistungen dienen weder der Krankenbehandlung noch der Früherkennung von Krankheiten. Sie gehören deshalb nicht zu den Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung und werden somit grundsätzlich nicht von den Krankenkassen bezahlt. Im Einzelfall kann es sich jedoch um medizinisch sinnvolle und empfehlenswerte Leistungen handeln. Hierzu zählen
  • Ärztliche Atteste und Serviceleistungen für Freizeit, Sport und Urlaub. Beispiele: Sportmedizinische Untersuchungen, Beratung vor Fernreisen und Reiseimpfungen, Untersuchung und Bescheinigung bei Reiserücktritt
  • Medizinisch-kosmetische Leistungen. Hier besteht meist keine medizinische Notwendigkeit, etwa bei Schönheitsoperationen oder Entfernung von Tätowierungen
    Psychotherapeutische Leistungen (zum Beispiel Paartherapien)

2. Leistungen, die ohne begründeten Krankheitsverdacht oder mit innovativen Behandlungsmethoden durchgeführt werden

  • Der größte Teil der heutzutage in der Praxis durchgeführten IGeL sind Früherkennungs- oder Vorsorgeuntersuchungen. Beispiele sind der Ultraschall der Brust, die Glaukom-Früherkennung (Grüner Star) sowie der Ultraschall der Eierstöcke oder der Halsschlagader. Manche dieser Untersuchungen übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen nur in bestimmten Risikofällen (familiäre Vorbelastung) oder bei begründetem Krankheitsverdacht. In allen anderen Fällen, in denen die zusätzlichen Untersuchungen auf eigenen Wunsch der Patient:innen ohne medizinische Notwendigkeit erfolgen, müssen die Kosten selbst bezahlt werden.
  • Bevor Du Dich für eine IGeL entscheidest, informiere Dich sich, ob diese Leistung für Dich sinnvoll ist. Einmal gezahlt, erhältst Du die Kosten von der Kasse nicht zurück. Du kannst auch im Vorfeld bei Deiner Krankenkasse nachfragen, ob eine IGeL möglicherweise als freiwillige Leistung übernommen wird. Eine Nachfrage lohnt sich auch bei begründetem Krankheitsverdacht oder wenn Du zu einer Risikogruppe gehörst.
  • Wissenschaftlich geprüfte und verständliche Fachinformationen zu den wichtigsten IGeL bietet der online verfügbare IGeL-Monitor des Medizinischen Dienstes. https://www.igel-monitor.de/index.html

Warum zahlen die Krankenkassen nicht?

Wer gesetzlich krankenversichert ist, hat Anspruch auf Leistungen zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Krankheiten. Die gesetzlichen Krankenkassen dürfen aber nur Leistungen bezahlen, die ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind. Welche neuen medizinischen Leistungen in diesen Leistungskatalog der Kassen aufgenommen werden, entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), ein Gremium aus Vertretern von Ärzten und Krankenkassen.

Bevor Angebote wie etwa die lasergestützten Augenuntersuchungen HRT (Heidelberg Retina Tomograph) oder OCT (Optische Cohärenztomographie) von den Krankenkassen bezahlt werden, müssen die wissenschaftlichen Studien dazu ausgewertet sowie Kosten, Nutzen und Schaden abgewogen werden. Den Antrag dazu können sowohl die Kassen als auch die ärztlichen Fachpersonen stellen. Bei der OCT etwa war die Studienauswertung positiv, so dass der G-BA 2018 beschloss, sie zur Kassenleistung zu machen, allerdings nur zur Diagnostik und Therapiesteuerung der neovaskulären altersbedingten Makuladegeneration (nAMD) und des Makulaödems bei diabetischer Retinopathie (DMÖ).
Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die der Gemeinsame Bundesausschuss bereits als negativ bewertet hat und die deshalb keine Kassenleistung werden dürfen, sind jedoch als IGeL erlaubt. Beispiele hierfür sind: Ozontherapie, Bioresonanztherapie, Colon-Hydro-Therapie oder die Ultraviolettbestrahlung des Blutes. Diese Therapien haben nach erfolgter wissenschaftlicher Analyse keinen Nutzen, sind medizinisch nicht notwendig oder nicht wirtschaftlich.

  • Manche IGeL werden bei konkretem Krankheitsverdacht zur Kassenleistung.
  • IGeL können ohne Qualitätsprüfung angeboten werden.
  • Wenn eine Untersuchungs- oder Behandlungsmethode vom höchsten Beschlussgremium des Gesundheitswesens negativ bewertet wurde, darf sie keine Kassenleistung werden. Als IGeL ist sie aber erlaubt.
  • Wissenschaftlich abgesicherte und verständliche Informationen zu den wichtigsten IGeL erhalten Sie beim IGeL-Monitor des Medizinischen Dienstes.

Gibt es eine gültige IGeL-Liste?

Hinter IGeL verbergen sich eine Vielzahl unterschiedlicher Untersuchungs- und Therapieverfahren. Schätzungen gehen von mehreren hundert Angeboten aus. Eine verbindliche Liste, die Aufschluss über das gesamte Spektrum gibt, existiert nicht. Es gibt lediglich eine Zusammenstellung für Ärzte aus dem Jahr 2011. Ärzte können entweder selbst entwickelte Zusatzleistungen anbieten, oder von Firmen übernommene, die sich auf IGeL spezialisiert haben. Da die Palette breit gefächert ist und sich ständig erweitert, haben Patienten kaum eine Chance, den medizinischen Nutzen sowie Qualität und Preis der Angebote zu überprüfen und miteinander zu vergleichen.

Während einige Patienten die Möglichkeit begrüßen, zusätzliche Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, sehen andere die IGeL-Leistungen kritisch. Im Folgenden werden die Vor- und Nachteile ärztlicher IGeL-Leistungen beleuchtet.

Pro IGeL

  • Erweitertes Leistungsspektrum: IGeL-Leistungen bieten Patienten zusätzliche Möglichkeiten, medizinische Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, die über die Standards der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehen. Dies kann eine schnellere Diagnose, verbesserte Behandlungsmöglichkeiten oder präventive Maßnahmen umfassen.
  • Zeitersparnis: Durch IGeL-Leistungen können Patienten oft schneller Zugang zu bestimmten Untersuchungen oder Behandlungen erhalten, da sie nicht auf einen Termin im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung warten müssen. Dies kann besonders wichtig sein, wenn es um die frühzeitige Erkennung von Krankheiten geht.
  • Individuelle Betreuung: IGeL-Leistungen ermöglichen es Ärzten, ihren Patienten eine umfassendere und individualisierte Betreuung anzubieten. Dies kann dazu beitragen, spezifische Gesundheitsrisiken zu identifizieren und präventive Maßnahmen zu ergreifen, die über das Standardangebot hinausgehen.
  • Innovative Behandlungsmethoden: Oftmals beinhalten IGeL-Leistungen innovative oder fortschrittliche Behandlungsmethoden, die möglicherweise nicht von den gesetzlichen Krankenkassen abgedeckt werden. Dies kann Patienten Zugang zu Technologien oder Therapien verschaffen, die potenziell effektiver sind oder den Körper weniger belasten.

Contra IGeL

  • Kosten für den Patienten: Eine der Hauptkritikpunkte an IGeL-Leistungen ist, dass sie zusätzliche Kosten für den Patienten verursachen, da sie nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Dies kann zu finanziellen Belastungen führen, insbesondere für Patienten mit begrenztem Einkommen.
  • Ungleichheit im Gesundheitssystem: Die Verfügbarkeit von IGeL-Leistungen kann zu einer Ungleichheit im Gesundheitssystem führen, da nicht alle Patienten in der Lage sind, sich diese zusätzlichen Leistungen zu leisten. Dies könnte dazu führen, dass bestimmte Patientengruppen Zugang zu besserer medizinischer Versorgung haben als andere.
  • Fehlender Nachweis der Wirksamkeit: Einige IGeL-Leistungen basieren möglicherweise nicht auf ausreichender Evidenz für ihre Wirksamkeit. Patienten könnten Geld für Leistungen ausgeben, die keinen nachgewiesenen Nutzen haben oder möglicherweise sogar schädlich sein könnten.
  • Ablenkung von wichtigen Gesundheitsfragen: Die Vermarktung von IGEL-Leistungen könnte Patienten von wichtigen Gesundheitsfragen ablenken, die durch den Standardkatalog der gesetzlichen Krankenversicherung abgedeckt sind. Dies könnte dazu führen, dass präventive Maßnahmen vernachlässigt werden oder dass Patienten aufgrund finanzieller Überlegungen auf notwendige Untersuchungen verzichten.

Insgesamt sind ärztliche IGeL-Leistungen ein umstrittenes Thema, das sowohl Befürworter als auch Kritiker hat. Während sie Patienten zusätzliche Optionen und eine individuellere Betreuung bieten können, müssen potenzielle Kosten, Ungleichheiten im Gesundheitssystem und die Notwendigkeit eines soliden Nachweises der Wirksamkeit berücksichtigt werden. Letztendlich liegt es dir selbst, sorgfältig abzuwägen, ob IGeL-Leistungen für Dich persönlich von Vorteil sind oder nicht.

(Quelle: Verbraucherzentrale NRW)